Mein erster Arbeitstag in der Mairie begann mit Madame Desmares, Chefin der Finanzabteilung. Ich habe erfahren, dass die Verwaltung der meisten Einnahmen der französischen Kommunen durch die Trésorerie – einer Abteilung des französischen Finanzministeriums - durchgeführt wird. Außerdem muss jeder Haushaltsplan und jede Ratsentscheidung vom Präfekt der Region unterschrieben werden. Ein Präfekt ist ein Repräsentant des Staates, der in jeder Region ansässig ist und die Verwaltung überwacht.
Ich wurde dann von Frau Dupuis und Ihrem Mann zum Mittagessen eingeladen. Es gab gekochtes Lammfleisch mit Gemüse und Kartoffeln. Die Gespräche mit Frau Dupuis waren sehr interessant. Bei komplizierteren Themen konnte auch Deutsch gesprochen werden, da Frau Dupuis als Deutschlehrerin lange Zeit in Angoulême in der Schule unterrichtet hat. Ich habe dann mit Mme Dupuis das Comité du Jumelage besucht. Es ist eine Art Außenstelle der Stadtverwaltung und kümmert sich mit öffentlichen Mitteln um die internationale Zusammenarbeit mit anderen Partnerstädten.
Herr Gaillard ist der Chef des Archives und hat als ehemaliger Geschichtslehrer die Geschichte von Frankreich und Angoulême im Blut. Ich habe mir das Archiv mit ihm und Stine Krause angeschaut. Frau Krause ist eine deutsche Auswanderin, die seit 11 Jahren in Angoulême wohnt. Sie ist auch im Comité du Jumelage aktiv und konnte mir bei Übersetzungsproblemen immer weiterhelfen. Der Eingang bestand aus verschiedenen Tageszeitungsblättern aus wichtigen Tagen der französischen Geschichte. Außerdem durfte ich mir einige interessante Bilder und Briefe zur deutschen Besatzungszeit im zweiten Weltkrieg anschauen. Außerdem habe ich im Archiv geholfen, die Bücher zu sortieren und zu beschriften. Die ältesten Bücher stammen aus dem 18. Jahrhundert.
Ich wurde auch zu einer Ausstellungseröffnung im Papiermuseum eingeladen. Dort hat der stellvertretende Bürgermeister, der gleichzeitig Kulturdezernent ist, zusammen mit dem Archivar Florent Gaillard und diversen Künstlern eine Kunstausstellung über Papierkunstwerke eröffnet. Zum Beispiel waren hier Büsten von Kaiser Franz I und seiner Tochter Margarete zu sehen, die aus über 7000 Blättern Papier erstellt wurden. Auch sehr eindrucksvolle Origami konnte man bewundern.
Am Wochenende bin ich dann mit dem Zug nach Bordeaux gefahren. Es ist eine wunderschöne Stadt mit einer tollen Uferpromenade entlang der Garonne und einer historischen Altstadt. Ich habe auch die Stadt Cognac besucht. Die Distillerie von Hennessy macht die Stadt weltbekannt für seine teure namensgleiche Spirituose.
Die Woche danach war ich in der Stadtpolizei eingesetzt. Die Stadtpolizei teilt sich auf in die Agents de surveillance de la voie publique (ASVP), also das Überwachungspersonal für öffentliche Wege mit ähnlichen Befugnissen des deutschen Stadtordnungsdienstes und drei Brigaden, die jeweils in drei Schichten zwischen 8 Uhr und 22 Uhr unterwegs sind. Jeder Polizist ist im Einsatz mit Handschellen, Pfefferspray, Elektroschocker, Schlagstock und sogar Schusswaffe ausgestattet. Mir wurde außerdem der Polizeihund gezeigt. Es war ein Kangal. Er wird bei gefährlichen Touren mitgenommen z.B. bei Versammlungen oder in gefährlichen Vierteln. Im Team der Polizei sind auch ehemalige Angehörige der Gendarmerie und des Militärs. Die Geschichte der verschiedenen Polizeiformen geht auf das Mittelalter zurück.
Meine letzte Woche begann bei Herrn Pothier-Leroux. Er ist für die Zusammenarbeit mit der UNESCO zuständig. Seit 2019 ist Angoulême UNESCO Weltkreativstadt. Er zeigte mir eine aktuelle Ausstellung von Künstlern aus allen Weltkreativ- und Partnerstädten.
Herr Pothier-Leroux hat mich zu einer Ausstellung im Veranstaltungszentrum Espace Franquin eingeladen. Dort konnte ich auch einige Worte mit dem Bürgermeister Xavier Bonnefont austauschen. In der Ausstellung haben verschiedene internationale Künstler in ihren Werken auf den Krieg in der Ukraine aufmerksam gemacht. Dann habe ich zusammen mit M. Pothier-Leroux die Museumsleiterin Mme Salaberry-Duhoux besucht. Im Stadtmuseum gibt es viele Dinosaurierknochen zu sehen. Darüber hinaus gibt es eine interessante Ausstellung über die Geschichte der afrikanischen Stammeskulturen zu sehen.
Mir wurde die Rolle der Kultur in Frankreich erklärt. Laut Verfassung besteht hier ein Recht auf Kultur. Dieses Recht wird auch sehr ernst genommen. Alles was vom Kulturamt veranstaltet wird, ist kostenlos und wird zu 100% vom Staat bzw. von der Stadt Angoulême finanziert.
Zum Schluss habe ich dann Royan besucht. Die Stadt Royan liegt direkt am Atlantik. Die Felsklippen am Atlantik sahen atemberaubend aus. Dort habe ich mir die Bunkeranlagen aus dem zweiten Weltkrieg angeschaut. Nach einem Spaziergang durch die Innenstadt habe ich mir nicht nehmen lassen, im 14 Grad kalten Atlantik zu baden. Danach bin ich nach La Rochelle gefahren und habe dort die Stadt besichtigt. Der große Hafen und die idyllischen Gassen in der Innenstadt waren sehr hübsch.
Durch den spannenden Frankreichaufenthalt war es mir gelungen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Arbeit in einem zentralistischen Staat wie Frankreich mit der Arbeit in einem föderalistisch geprägten Deutschland zu vergleichen. Auch wenn sich grundsätzlich bei simplen Verwaltungsvorgängen recht wenig zu Deutschland unterscheidet, gibt es dort noch enorme Unterschiede in den Zuständigkeiten.
Neben den fachlichen Unterschieden, war es eine schöne Erfahrung sich für 3 Wochen in einem anderen Land zurecht zu finden und habe dementsprechend eine engere Verbindung mit der französischen Kultur knüpfen können. Ich kann nur jedem raten, der noch ein bisschen die französische Sprache beherrscht an einem Aufenthalt dieser Art in Angoulême teilzunehmen. Auslandsaufenthalte wie diese stärken interkulturelle Kompetenzen und tragen zu dem Respekt fremder Kulturen bei.