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Vorlage - 22/131  

Betreff: Empfehlung für die Umbenennung der "Bischof-Janssen-Straße"
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Verfasser:Prof. Dr. Schütz, Michael
Federführend:42 Fachbereich Archiv und Bibliotheken Bearbeiter/-in: Wulfes, Laura
Beratungsfolge:
Ortsrat Stadtmitte/Neustadt Entscheidung
04.05.2022 
Sitzung des Ortsrates Stadtmitte/Neustadt ungeändert beschlossen   
Rat der Stadt Hildesheim Information
23.05.2022 
Sitzung des Rates der Stadt Hildesheim zur Kenntnis genommen   

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Sachverhalt:

 

Die auf Initiative des Herrn Oberbürgermeisters Dr. Ingo Meyer gebildete Arbeitsgruppe (AG) bestehend aus Mitgliedern der Stadtverwaltung, des Stadtrates, des Ortsrates Stadtmitte/Neustadt, der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim, des Bistums Hildesheim und des Landkreises Hildesheim hat sich intensiv mit den Argumenten befasst, die für und gegen eine Umbenennung der Bischof-Janssen-Straße sprechen. Sie empfiehlt einstimmig, die Straße umzubenennen.

 

Angesichts der zahlreichen Ehrungen, die Bischof Heinrich Maria Janssen Zeit seines Lebens und auch nach seinem Tod mit der Straßenbenennung erfahren hat, war es geboten, seine Person und sein Lebenswerk detailliert kritisch zu betrachten und einer „nüchternen“ Bewertung zu unterziehen, wenn es zu einer verantwortungsvollen Empfehlung kommen soll.

 

Heinrich Maria Janssen, 1957-1982 Bischof von Hildesheim, hat die Herausforderungen und Möglichkeiten der Zeit erkannt und sie aufgegriffen. In seine Zeit fällt der Bau von rund 300 Kirchen und die Neuweihe des Hildesheimer Doms (1960) als Zentrum des Bistums. Er war langjähriger Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlinge und Vertriebene und erster Ansprechpartner für Priester, die illegal aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sind. 1965 hat er mit dem Land Niedersachsen das Niedersachsenkonkordat abschließen können. Auch in der Ökumene wurden von ihm wesentliche Akzente gesetzt.

 

Janssen war Teilnehmer des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965), des großen Neuaufbruchs der katholischen Kirche weltweit. Er hat die Gedanken des Konzils und die Neuerungen in die Diözese hineingetragen, hat viele Kirchengemeinden besucht und sich um eine Übersetzung der Veränderungen der Kirche im Bistum bemüht. Die Liturgiereform, eine massive Veränderung des Gottesdienstes, wurde von ihm umgesetzt. Auch war ihm sehr daran gelegen, dass der Gottesdienst von allen verstanden wurde. Der Schwerpunkt Caritas wurde von ihm stark unterstützt, wofür beispielhaft die Heimstatt Röderhof und das Ferienparadies des Kolpingwerks in Duderstadt stehen. Er bemühte sich um die Nähe zu seinen Kirchenmitgliedern und erfuhr Zeit seines Lebens von vielen Diözesanen und auch jenseits des Bistums Hildesheim respektive der katholischen Kirche eine hohe Wertschätzung, wovon u.a. die Straßenbenennung durch den Stadtrat in Hildesheim zeugt.

 

Aber Heinrich Maria Janssen war – wie wir jetzt wissen – auch der Bischof, in dessen Amtszeit zahlreiche Kinder und Jugendliche durch Priester sexuell missbraucht worden sind. Statt diese Priester gemäß den auch damals geltenden staatlichen und kirchlichen Gesetzen anzuzeigen und aus ihrem Amt zu entfernen, blieben sie mit Wissen Janssens weiter im Amt und wurden meist lediglich an einen anderen Ort versetzt, ohne dass die neuen Kirchengemeinden über die Hintergründe der Versetzung informiert wurden. Es bleibt festzuhalten, dass der Verantwortliche für alle Personalbelange des Klerus in der Zeit von 1957 bis 1982 Bischof Heinrich Maria Janssen war.

 

Das Jahr 2015 stellt den entscheidenden Einschnitt für das Bistum in der Sichtweise auf das Leben Bischof Janssens dar, als zahlreiche Missbrauchsvorwürfe – darunter vier direkt gegen Janssen – erhoben wurden. 2017 wurde ein erstes Gutachten des unabhängigen Münchner Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) veröffentlicht, in dem die Vorwürfe dezidiert aufgezeigt, eingeordnet bzw. bewertet wurden. Das Gutachten von 2021, erarbeitet durch eine unabhängige Expertengruppe (Antje Niewisch-Lennartz, Kurt Schrimm, IPP), vertieft und erweitert den Blick auf die persönliche Verantwortung Bischof Janssens.

 

Die Vorwürfe, er sei selbst Missbrauchstäter gewesen, sind in den Bistumsakten und anderen Überlieferungen nicht belegbar. Nachweisbar ist allerdings das Faktum, dass er Priester, die sich an Kindern und Jugendlichen sexuell vergangen haben, versetzt hat und damit den Priestern Gegenwart und Zukunft gab. Um die Opfer der vielen Missbräuche hat er sich dagegen in keiner Weise gekümmert und den Opfern dadurch Gegenwart und Zukunft radikal genommen.

 

Aus diesen Gründen hat sich die AG einstimmig für eine Umbenennung der Bischof-Janssen-Straße ausgesprochen. Hervorzuheben ist, dass es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelt, die nicht zwingend dazu führen muss, auch andere umstrittene Straßen umzubenennen. In diesem konkreten Fall geht es um sexuelle Missbrauchsfälle, von denen der Namenspatron beweisbar Kenntnis hatte und die er bewusst und aktiv rechtswidrig verschleiert hat, ohne sich um die Opfer zu kümmern. Das jüngste Opfer der Missbrauchsfälle ist heute 41 Jahre alt. Es dürfte auch für nicht Betroffene zu ermessen sein, was es für dieses und die anderen Opfer bedeuten würde, weiterhin mit dem Straßennamen und der damit verbundenen Ehrung für den Namensgeber konfrontiert zu werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Bischof Janssen das ihnen geschehene Leid hätte verhindern können.

 

Vor dem Hintergrund zeitgenössischer und aktueller Moral- und Rechtsprinzipien ist das Handeln Bischof Janssens als verbrecherisch zu bezeichnen und eine Beibehaltung des Straßennamens aus Sicht der AG nicht zu rechtfertigen.

 

Eine Umbenennung der Straße hat Auswirkungen (Aufwand und Kosten) auf 75 dort gemeldete Personen, 15 Gewerbebetriebe und 78 Eigentümer. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit muss das beschlussfassende Gremium die für die Umbenennung sprechenden Gründe gegen das Interesse der Betroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Straßennamens abwägen. Die AG hat sich bemüht, diese Abwägung vorzunehmen und in der Empfehlung herauszuarbeiten, auf welchen sachlichen Gründen die Entscheidung zur Umbenennung des Straßennamens basiert. Die Straßenumbenennung stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den Rechtsmittel eingelegt werden können.

 

Die AG hat zahlreiche Umbenennungsvorschläge, die u.a. aus der Bürgerschaft beim Herrn Oberbürgermeister Dr. Ingo Meyer und beim Stadtarchiv eingegangen sind, geprüft. Als neuen Straßennamen schlägt die AG den Namen „Marie-Wagenknecht-Straße“ vor.

 

Marie Wagenknecht (* 13.9.1885 + 22.11.1970) war eine Hildesheimer Kommunalpolitikerin, deren Leben durch den Einsatz für die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit geprägt war. Sie engagierte sich vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die Bundesrepublik über 18 Jahre ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. Nach Einführung des Frauenwahlrechts wurde sie am 2. März 1919 in Hildesheim bei der ersten Kommunalwahl für die SPD als Bürgervorsteherin gewählt, zusammen mit drei weiteren Frauen und 44 Männern. Am 12. März 1933 zog sie letztmals für die SPD ins Bürgervorsteherkollegium ein. Im gleichen Jahr wurde sie von den Nationalsozialisten aus ihrem Amt gedrängt und stand bis 1945 unter Beobachtung der Gestapo. Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sie sich am demokratischen Wiederaufbau der kommunalen Selbstverwaltung in Hildesheim und wurde am 28. November 1948 in den Stadtrat gewählt, dem sie bis zum 8. November 1952 als Ratsfrau angehörte. Marie Wagenknecht zählt zu den Gründerinnen der Hildesheimer Arbeiterwohlfahrt 1920 und fungierte von 1922 bis 1933 als deren Vorsitzende. Nach 1945 engagierte sie sich beim Wiederaufbau der AWO und wurde zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Am 26. Oktober 1970 erhielt sie wegen ihrer Verdienste um die Stadt Hildesheim den Ehrenring, wobei ihr besonderes Engagement für die städtische Armenpflege in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg hervorgehoben wurde.

 

 

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Beschlussvorschlag:

 

Der vorgeschlagenen Umbenennung der „Bischof-Janssen-Straße“ in „Marie-Wagenknecht-Straße“ wird zugestimmt.

 

 

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Finanzielle Auswirkungen:

 

ja, in der Vorlage erläutert

x

nein

 

 

 (dann Folgekostenabschätzung erstellen)

 

 

 

Personelle Auswirkungen:

 

ja, in der Vorlage erläutert

x

nein

 

 

 (dann FB 11 beteiligen)

 

 

 

Demografische Auswirkungen:

 

ja, in der Vorlage erläutert

x

nein

 

 

 (unter Einbeziehung der Komponente des Demografie-Checks)

 

 

 

Nachverfolgung:

 

ja, dann

x

nein

 

 

 

voraussichtliches/r Datum bzw. Zeitraum der Umsetzung

 

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Anlagen:

 

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